Autoritäre Schatten in der Europäischen Union. Der Fall Österreich

 

Das vorliegende Paper besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil ist eine Zusammenfassung der Ergebnisse eines mehr als ein Jahr laufenden Projekts, welches das Abstimmungsverhalten von Mitgliedern des Europäischen Parlaments hinsichtlich außenpolitischer Fragen beobachtete, um ihre Anfälligkeit für autoritäre Einflüsse zu ermitteln. Das Projekt wurde während der derzeitigen neunten Legislaturperiode (2019-2024) durchgeführt. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf sieben mittel- und südosteuropäischen Staaten (Tschechien, Ungarn, Polen, Slowakei, Österreich, Rumänien und Bulgarien). Für mehr Information zum Projekt besuchen Sie https://politicalcapital.hu/authoritarian_shadows_in_the_eu/ (auf Englisch). 

Der zweite Teil ist eine Fallstudie, die sich mit dem Abstimmungsverhalten der österreichischen Mitglieder des EU-Parlaments (ebenfalls während dessen neunter Legislaturperiode) in außenpolitischen Fragen beschäftigt.

Unser Dank geht an das „National Endowment for Democracy“ für die Partnerschaft und die Unterstützung dieses Projektes. Alle Fehler und Versäumnisse liegen bei uns.

Übersetzung ins Deutsche: Fyodor Shulgin.

Der Bericht kann als PDF-Dokument hier heruntergeladen werden.

 

 

Autoritäre Schatten in der Europäischen Union. Kurzfassung

Péter Krekó, Patrik Szicherle, Csaba Molnár (Political Capital Institute)

 

Der Widerstand der EU-Institutionen

Im Allgemeinen stellten wir fest, dass autoritäre Drittstaaten wie Russland und China sich schwerer tun, europäische Institutionen zu beeinflussen als nationale. Einer Supermacht mit einer klaren Befehlskette (insbesondere Russland mit seiner „Machtvertikale“) fällt es nicht ohne weiteres leicht, mit einer hybriden Organisation wie der EU umzugehen, wo die Macht auf mehrere Institutionen verteilt ist und einer gänzlich anderen Logik folgt als ein Nationalstaat. Die autoritäre Logik ist inkompatibel mit der formellen und komplizierten EU-Bürokratie, die oft als inkonsistent, zu komplex, unvorhersehbar und schwer zugänglich betrachtet wird.

Autoritärer Druck wird traditionell am effektivsten über die Mitgliedstaaten via bilaterale Beziehungen ausgeübt und weniger über die die Europäische Union. Der russische Außenminister Sergey Lavrov gab das offen zu, als er meinte, dass er „eine Situation bevorzugen würde, in der jedes EU-Mitgliedsland von seinen nationalen Interessen geleitet würde.“ [1]

Laut unseren Ergebnissen ist das EU-Parlament die kämpferischste unter allen EU-Institutionen. Direkt gewählte MdEPs, die durchwegs kritisch gegenüber autoritären Regimen wie dem Kreml sind, haben eine stabile Mehrheit im EU-Parlament. Diese Mehrheit ist nur dann bedroht, wenn sich die Parlamentsfraktionen der Mitte aufspalten. Autoritäre Regime tun sich leichter im Rat der Europäischen Union, wo außenpolitische Entscheidungen einstimmig getroffen werden müssen, was bedeutet, dass ein einzelner Staat jede Initiative blockieren kann. Dennoch erweist es sich auch dort als schwierig, Entscheidungen zu beeinflussen, wie die Sanktionen gegen Russland zeigen: Sie werden gegen den Willen vieler Mitgliedstaaten, wie z.B. Ungarn, Slowakei, Griechenland, Italien, usw. aufrechterhalten. Das zeigt auch die Stärke von EU-Institutionen im Allgemeinen, was die Ausübung von normativem Druck auf ihre Mitglieder angeht.

Das EU-Parlament vertritt Positionen, die auf den Grundwerten der EU basieren, und ist so zum „Gewissen“ der EU-Außenpolitik geworden. Natürlich ist das Gewissen nicht immer der Motor des politischen Handelns. Wenn aber nicht, dann erzeugt es zumindest Schuldgefühle.

Wo man sitzt, ist wo man steht: mehr negativer Einfluss an den Rändern

Parlamentarische Randgruppen, wie die rechts außen stehende Fraktion „Identität und Demokratie (ID)“ und die links außen stehende „Konföderale Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/ Nordischen Grünen Linken (GUE/NGL)“ unterstützen am ehesten autoritäre Regime; das gilt auch für die meisten fraktionslosen Abgeordneten. Das ist eine bedeutsame Minderheit von 20% aller EU-Parlamentarier, die jedoch meistens nicht ausreicht, um wichtige Entscheidungen zu blockieren, wenn es einen breiten Konsens bei den etablierten Kräften gibt. Die Mehrheit dieser Randgruppen würde sowohl eine Annäherung zwischen Russland und der EU begrüßen als auch die Aufhebung von Sanktionen gegen Drittstaaten. Wenn die Wahlergebnisse dieser Parteien sich im Zuge der Pandemie und der Krise, die sie nach sich zieht, verbessern, würde dies zweifellos dazu führen, dass autoritäre Mächte mehr Einfluss auf europäische (und nationale) Politikgestaltung bekommen.

Die größten Mainstream-Fraktionen im Europäischen Parlament („Europäische Volkspartei“, „Renew“, „Progressive Allianz der Sozialdemokraten“) sind in der Regel sehr kritisch gegenüber autoritären Praktiken und üben stärkeren normativen Druck auf ihre Mitglieder aus, was eine konsistenteres Abstimmverhalten zur Folge hat.

Rechtsaußen MdEPs der „ID“-Fraktion (z.B. der italienischen „Lega“ oder des belgischen „Vlaams Belang“) sind oft unglaublich Kreml-freundlich, jedoch kritischer, wenn es um kommunistische und linke Regime geht (z.B. China, Venezuela). Eine Kombination von drei Faktoren könnte diese Diskrepanz erklären: (1) Ideologie: aufrichtige Bewunderung für eine russische Politik, die auf angeblicher nationaler Souveränität und auf Stolz basiert, (2) Medien: der Einfluss von offiziellen und inoffiziellen pro-russischen Medien und deren Berichterstattung, und (3) direkter Einfluss: potentielle Unterstützung des Kremls für diese Parteien in finanzieller und diplomatischer Hinsicht sowie über Netzwerke. Darüber hinaus plädieren rechts-außen MdEPs oft für eine „Make the EU Weak Again“-Politik, und setzen sich für eine Außenpolitik ein, die von Nationalstaaten und nicht EU-Institutionen ausgeht.

Die Mitglieder der radikal linken „GUE/NGL“ sind die schärfsten Kritiker der USA und der Trump-Regierung im EU-Parlament und plädieren dafür, dass die EU aufhört, Washington „blind zu folgen“. Sie sind vehemente Verteidiger der Politik des Kreml, aber auch von Peking und Caracas.

Die sieben Länder, wo wir die meisten Abgeordneten fanden, die autoritäre Regime unterstützen, sind eine bunte Mischung aus westlichen und südlichen Mitgliedstaaten (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Griechenland, Italien und Zypern). Diese nationalen Delegationen sind besonders anfällig dafür, autoritäre Staaten zu unterstützen, da besonders viele populistische linke und rechte Parteien unter ihnen sind.

Es gibt zahlreiche nationale Parteien, die autoritäre Regime stark unterstützen, die entweder Teil einer Regierungskoalition eines EU-Mitgliedstaates sind (z.B. „PODEMOS“) oder die eine Regierungskoalition von außen unterstützen (z.B. die „Portugiesische Kommunistische Partei“, die „Kommunistische Partei Böhmens und Mährens“). Sie können daher wichtige Hebel für autoritäre Regime sein, um europäische Politik zu beeinflussen.

Mittel- und südosteuropäische Parlamentarier vertreten eine härtere Position

Mittel- und Osteuropäische Staaten (Visegrád 4 und Österreich, Rumänien, Bulgarien) sind gegenüber Russland und autoritären Staaten im Allgemeinen unnachgiebiger als der Durchschnitt der EU-Mitgliedstaaten. In dieser Gruppe sind die nationalen Delegationen von Tschechien und Bulgarien die unkritischsten, doch auch sie würden eher Autokraten wie Putin verurteilen als die weiter oben erwähnte Gruppe von sieben meist älteren Mitgliedstaaten.

MdEPs, die offen den Kreml und andere autoritäre Regime unterstützen, gibt es in Tschechien, der Slowakei, Österreich und Bulgarien. Bulgarien hat eine Großpartei mit einer sehr milden Haltung gegenüber repressiven Regierungen, die „Bulgarische Sozialistische Partei“. MdEPs der in Ungarn regierenden „Fidesz“ stimmen meistens im Einklang mit der „Europäischen Volkspartei (EPP)“ ab – manchmal im Gegensatz zur bevorzugten Linie in Budapest. So hat der ungarische Premier Viktor Orbán des Öfteren dazu aufgerufen, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben und China-kritische Stellungnahmen der EU blockiert.

EU-Außenpolitik und transatlantische Beziehungen

• Europäische Außenpolitik wird einer der kritischen Faktoren in den Debatten um die Zukunft der EU sein. Das EU-Parlament hat eine klare, sehr ambitionierte außenpolitische Vision für die EU, doch wird die Umsetzung oft durch das Prinzip der Einstimmigkeit im Ministerrat blockiert.

• EU-Institutionen, insbesondere das Parlament, sind in der Regel solidarischer mit politischen Maßnahmen der USA (z.B. Sanktionen gegen Huawei) als die meisten Mitgliedstaaten. Deshalb können die EU im Allgemeinen und insbesondere das EU-Parlament von entscheidender Bedeutung sein, wenn es darum geht, die transatlantische Kooperation und Koordinierung der Außenpolitik aufrechtzuerhalten bzw. wiederaufzubauen, in Zeiten, in denen sowohl in Washington als auch in den europäischen Hauptstädten der Nutzen einer solcher Kooperation immer wieder in Frage gestellt wird.

POLITIKEMPFEHLUNGEN

Hin zu einer demokratischeren und effizienteren EU-Außenpolitik

Das EU-Parlament ist derzeit kein Schlüsselakteur in der EU-Außenpolitik – sollte es aber sein. Ein größeres Mitspracherecht für Parlamentarier in außenpolitischen Fragen könnte der EU helfen, ein stärkerer Akteur auf der internationalen Bühne zu werden, was auch ein deklariertes Ziel der EU-Spitzenpolitiker ist. Weiters würde eine stärkere Rolle des EU-Parlamentes – des einzigen direkt gewählten Organs der EU – die Außenpolitik wertorientierter und demokratischer machen. Das Europäische Parlament und insbesondere der „Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten“ (AFET) sollten immer an der Ausarbeitung von EU-Dokumenten und Stellungnahmen beteiligt sein.

Was den Ministerrat angeht, so sollte das Prinzip der Einstimmigkeit in das einer qualifizierten Mehrheit umgewandelt werden – was bedeuten würde, dass ein einzelner Mitgliedstaat nicht länger EU-Entscheidungen torpedieren könnte. EU-Institutionen – insbesondere der Ministerrat – konnten bereits Wege finden, diese Obstruktionspolitik zu umgehen. Änderungen und Praktiken in dieser Richtung könnten der EU helfen, auf globale Ereignisse schneller zu reagieren. Zusätzlich könnten längere Ratspräsidentschaftsperioden (derzeitig sind es nur sechs Monate) dazu beitragen, die außenpolitische Agenda der EU unter den jetzigen institutionellen Bedingungen ambitionierter zu machen.

Solange die institutionellen Rahmenbedingungen unverändert bleiben, muss das EU-Parlament seine außenpolitischen Präferenzen aktiver kommunizieren, weil diese sich nicht immer mit den Positionen anderer EU-Institutionen decken, ganz zu schweigen von denen der Nationalregierungen. Die MdEPs und die Informationsbüros des Europäischen Parlaments in den Hauptstädten der Mitgliedstaaten müssen eine aktivere Rolle in der direkten Vermittlung von außenpolitischen Prioritäten auf nationaler Ebene spielen. Die EU sollte Journalisten in den Mitgliedstaaten unterstützen, um Anreize für eine breitere Berichterstattung über die außenpolitischen Fragen der EU zu schaffen.

Die „Konferenz zur Zukunft Europas“ muss die Probleme der EU-Außenpolitik ansprechen. Dazu gehören die Einführung einer qualifizierten Mehrheitsentscheidung im Außenministerrat, eine stärkere Rolle des EU-Parlaments in außenpolitischen Fragen und die Entwicklung effektiverer Rahmenbedingungen für militärische und zivile EU-Einsätze.

Aufruf an Brüssel und Straßburg

Die diplomatischen Bemühungen von westlichen nicht-EU-Staaten wie den USA sollten stärker auf die Europäische Union insgesamt – und konkret das EU-Parlament – fokussiert sein als ausschließlich auf bilaterale Beziehungen. Denn die EU-Institutionen scheinen bereitwilliger zu sein, sich autoritären Einflüssen zu widersetzen als die meisten Mitgliedstaaten.

Maßnahmen, um autoritäre Einflüsse zurückzudrängen

Die EU muss ein effektives Investitionsüberwachungsprogramm einführen, um die Übernahme wichtiger europäischer Unternehmen durch Akteure aus feindlichen Drittstaaten zu vermeiden. Dies ist besonders im Zuge der Covid-19-Pandemie und der resultierenden Wirtschaftskrise wichtig, welche die Tür für Erpressungspraktiken weit öffnet. Darüber hinaus sollte die EU alle Schlupflöcher stopfen, die Mitgliedstaaten erlauben, Großaufträge an Firmen aus autoritären Drittstaaten ohne eine transparente öffentliche Ausschreibung zu vergeben.

Das EU-Parlament sollte die Überprüfung seiner Abgeordneten und die Lobbying-Regeln für diese verbessern. Ein öffentlich zugänglicher persönlicher Meeting-Tracker für Parlamentarier, der die Treffen der MdEPs mit Vertretern politischer und wirtschaftlicher Organisationen aus Drittstaaten nachverfolgt, würde die Transparenz erhöhen, indem Experten, Journalisten und Bürger besser darüber informiert werden, wer europäische Entscheidungen zu beeinflussen sucht.

• Die Cybersicherheit europäischer Institutionen sowie die entsprechende Kenntnis der EU-Beamten müssen ständig verbessert werden. Dies würde dazu beitragen, Vorfälle zu verhindern, bei denen autoritäre Propaganda geleakte Dokumente (echt oder gefälscht) verwendet, um die öffentliche Meinung zu manipulieren. Daher sollte die „Agentur der Europäischen Union für Cybersicherheit (ENISA)“ fortlaufend die Fähigkeiten des EU-Parlaments und individueller Abgeordneter überwachen, Cyberattacken abzuwehren. MdEPs und ihre Assistenten sollten ein grundlegendes Cybersicherheitstraining erhalten, um in der Lage zu sein, potenzielle Gefahren zu identifizieren, wie z.B. Phishing-Mails.

 

Schema 1: Europäische Parlamentsfraktionen nach ihrer Einstellung gegenüber autoritären Regimen geordnet (Durchschnitt pro MEP einer bestimmten Fraktion). Je höher der Wert, desto kritischer ist die Haltung gegenüber autoritären Regimen.
Schema 2. Europäische Parlamentsfraktionen nach ihrer Einstellung gegenüber dem Kreml geordnet (Durchschnitt pro MEP einer bestimmten Fraktion). Je höher der Wert, desto kritischer ist die Haltung gegenüber dem Kreml.
Schema 3. Der durchschnittliche “Autoritären-kritische” Indexwert der sieben mittel- und osteuropäischen Staaten (Visegrad, Österreich, Rumänien, Bulgarien), die 28 EU-Staaten sowie die 21 nicht mittel- oder osteuropäischen Staaten (pro MdEP). Je höher der Wert, desto kritischer ist die Haltung gegenüber autoritären Regimen.
Schema 4. Der durchschnittliche “Kreml-kritische” Indexwert der sieben mittel- und osteuropäischen Staaten (Visegrad, Österreich, Rumänien, Bulgarien), die 28 EU-Staaten sowie die 21 nicht mittel- oder osteuropäischen Staaten (pro MdEP). Je höher der Wert, desto kritischer ist die Haltung gegenüber dem Kreml.
Schema 5. Der durchschnittliche “Autoritären-kritische” Indexwert der sieben mittel- und osteuropäischen Staaten, der ihre allgemeine Einstellung gegenüber autoritären Regimen misst. Je höher der Wert, desto kritischer die Einstellung. Die blaue Linie repräsentiert den EU28-Durchschnitt. Die Zahlen sind auf die nächste Ganzzahl aufgerundet.
Schema 6. Der durchschnittliche “Kreml-kritische” Indexwert der sieben mittel- und osteuropäischen Staaten, der ihre allgemeine Einstellung gegenüber Moskau misst. Je höher der Wert, desto kritischer die Einstellung. Die blaue Linie repräsentiert den EU28-Durchschnitt. Die Zahlen sind auf die nächste Ganzzahl aufgerundet.

 

Der Fall Österreich. Traditionell starke Geschäfts-beziehungen, aber wenig offizielle Unterstützung für den Kreml

Anton Shekhovtsov (Centre for Democratic Integrity)

 

Österreich ist zwar EU-Mitglied, aber kein NATO-Mitglied – dies ist durch eine Klausel in der österreichischen Verfassung festgelegt, die eine immerwährende militärische Neutralität des Landes vorschreibt. Österreichs Neutralität sowie der traditionelle Schwerpunkt der Außenpolitik auf Geschäftsbeziehungen prägen die weitgehend freundschaftlichen Beziehungen der österreichischen politischen Eliten gegenüber Russland – primär der beiden stärksten Parteien, der mitte-rechts stehenden „Österreichischen Volkspartei (ÖVP)“ und der mitte-links stehenden „Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ)“. Seit dem Beginn der russischen Aggression gegen die Ukraine 2014 haben sich wichtige Vertreter dieser beiden Parteien öfters kritisch zu den EU-Sanktionen gegen Russland geäußert und dazu aufgerufen, diese aufzuheben. Jedoch hat Österreich weder unter der Kanzlerschaft der beiden Sozialdemokraten Werner Faymann (2008-2016) und Christian Kern (2016-2017), noch der des konservativen Sebastian Kurz (2017-2019, 2020) den EU-Konsens bezüglich dieser Sanktionen ernsthaft in Frage gestellt. Seit Österreich 1995 der EU beigetreten ist, war seine Außenpolitik großteils an der von Deutschland ausgerichtet, und auch in Bezug auf die EU-Sanktionen folgt Österreichs der deutschen Position.

Gleichzeitig ist die rechts außen stehende „Freiheitliche Partei Österreich“ (FPÖ) konsequent pro-Moskau. Mitglieder der FPÖ waren Teil der von Russland organisierten „Wahlbeobachtermission“, die das illegitime Referendum auf der ukrainischen Krim beobachtet und unterstützt hat. FPÖ-Mitglieder sind auf die annektierte Krim gereist, um an dem von den russischen Besatzungsbehörden organisierte „International Economic Forum“ teilzunehmen. Ende 2016 unterzeichnete die Partei eine „Vereinbarung über Zusammenwirken und Kooperation“ mit der russischen Regierungspartei „Einiges Russland“.

2017-2019 bildeten die ÖVP und die FPÖ eine Koalitionsregierung, doch trotz der pro-Moskau-Einstellung der FPÖ war diese nie in der Position, Österreichs Befolgung der allgemeinen EU-Einstellung gegenüber Russland entscheidend in Frage zu stellen. 2019 veröffentlichten Journalisten Auszüge aus einem heimlich aufgenommenen Video, das den FPÖ-Vorsitzenden dabei zeigt, wie er sich bei einer vermeintlichen russischen Oligarchin um Geld und andere Formen der Unterstützung bemüht. Diese sogenannte „Ibiza-Affäre“ führte zur Auflösung der ÖVP-FPÖ-Regierung und einem Rückgang der Zustimmungsraten für die FPÖ bei den österreichischen EU- und Nationalratswahlen.

 

Schema 7. Durchschnittliche “Autoritären-kritische” und “Kreml-kritische” Indexwerte österreichischer MdEPs, aufgeteilt auf die nationalen Parteien. Je höher der Wert, desto kritischer die Einstellung gegenüber autoritären Regimen respektive dem Kreml gegenüber. Zahl in Klammern steht für die Anzahl der MdEPs.

Andere im Parlament vertretene Parteien wie die mitte-links-Partei der Grünen und die gemäßigten „NEOS“ sind meistens skeptisch gegenüber Putins Russland und anderen autoritären Regimen.

Diese Standpunkte und Ausrichtungen entsprechen weitgehend dem Wahlverhalten der österreichischen MdEPs.

Die ÖVP-Abgeordneten im EU-Parlament machen selten Aussagen zur Außenpolitik und interessieren sich hauptsächlich für Fragen der Umwelt, Landwirtschaft, Tourismus, des Verbraucherschutzes und des Unternehmertums. Dennoch finden sich in der ÖVP-Delegation zum EU-Parlament zwei prominente Kritiker des Kremls und autoritärer Praktiken: Othmar Karas und Lukas Mandl, die einen großen Einfluss auf die außenpolitische Linie der Delegation haben. Karas ist bekannt für seine Unterstützung russischer Demokratisierungsbewegungen und des ukrainischen Widerstands gegen die russische Aggression. Mandl kritisierte die russische Führung für die Beschönigung von sowjetischen Verbrechen und sorgt sich um außereuropäische autoritäre Einflüsse in Europa. Er ist ebenfalls solidarisch mit der Ukraine und unterstützt ihre Demokratisierung und Annäherung an die EU.

Seit 2019 hat die österreichische ÖVP-Delegation kein einziges Mal zugunsten des Kremls oder autoritärer Praktiken und Trends gestimmt.

EU-Abgeordnete der SPÖ bevorzugen Themen wie Kultur, Geschlechtergleichstellung, Arbeitnehmerrechte, Umwelt und Verbrauch als Außenpolitik. Jedoch hat einer der führenden SPÖ-MdEPs, Andreas Schieder, die Kooperation zwischen Moskau und den europäischen Rechten (insbesondere der FPÖ) kritisiert und lobte eine Resolution des EU-Parlaments, die ausländische Eingriffe in europäische Angelegenheiten tadelt. Schieder befürwortet weiters die europäische Integration der Westbalkanländer, was den Interessen des Kremls in dieser Region widerspricht. Ein weiteres SPÖ-MdEPs, Bettina Vollath, äußerte sich kritisch gegenüber autoritären Praktiken in der Türkei und China. Das Abstimmungsverhalten der SPÖ-MdEPs ist im Allgemeinen übereinstimmend mit ihrer pro-liberalen Agenda, aber in Einzelfällen tolerierten sie bestimmte pro-Kreml-Positionen und autoritäre Entwicklungen. Z.B. stimmten sie gegen den Paragrafen in einer Resolution des EU-Parlaments, der die Bildung eines Sonderkomitees zur Untersuchung ausländischer Einmischung in Wahlen befürwortet.

 

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und der stellvertretende Generalsekretär des Vereinigten Russlands, Sergej Schelesnjak, haben im Dezember 2016 eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Quelle: www.tango-noir.com

Wie die ÖVP- und SPÖ-Abgeordneten so sind auch die der österreichischen Grünen an außen- und geopolitischen Fragen nicht besonders interessiert und konzentrieren sich mehr auf landwirtschaftliche und Umweltfragen. Gleichwohl ist Thomas Waitz ein scharfer Kritiker des „Nordstream 2“-Projekts, und sagt, dass es nur Putins Interessen dient. Außerdem kritisierte er die österreichischen Behörden, weil diese eine Anordnung zur Reduktion der Abhängigkeit von russischem Gas verzögerten. Ein weiteres MdEP der Grünen, Monika Vana, kritisierte Russland für die Annexion der Krim und die Diskriminierung der LBGT-Community, sowie China für den brutalen Umgang mit den Uiguren. Während Vana und Sarah Wiener die meisten kritischen Resolutionen gegen den Kreml und gegen autoritäre Handlungen unterstützt haben, waren sie nicht immer konsequent. So haben beide gegen die Einfügung eines Verweises auf den sogenannten „Magnitsky Act“ in eine Russland betreffende Resolution des EU-Parlamentes gestimmt.

Wie erwartet, hat das „NEOS“-MdEP Claudia Gammon nie eine pro-Kreml oder pro-autoritäre Haltung eingenommen. Gamon war eine der schärfsten Kritiker von Putins Wien-Besuchen und verurteilte den damaligen FPÖ-Vorsitzenden Heinz-Christian Strache für seine Forderung nach einer Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Russland. Gamon lehnt ebenfalls die Einmischung ausländischer autoritärer Regime in EU-Angelegenheiten ab.

Als Kontrast zu allen anderen österreichischen Delegationen des EU-Parlamentes hat die FPÖ-Delegation die meisten pro-Kreml-MdEPs. Harald Vilimsky reiste mehrmals nach Russland und war ebenfalls Teil der Gruppe, die nach Moskau ging, um das Abkommen mit „Einiges Russland“ zu unterzeichnen. Georg Mayer rief zu einer Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Russland auf, und Roman Haider kritisierte die Opposition gegen „Nordstream 2“ in der EU. Dennoch ist die Haltung der FPÖ-MdEPs zu den Interessen des Kremls in Bezug auf Europa und zu autoritären Praktiken in anderen Teilen der Welt manchmal nuanciert. Z.B. enthielten sich die FPÖ-Abgeordneten der Stimme bei der Abstimmung über eine Resolution, die von den russischen Behörden verlangte, den ukrainischen Regisseur Oleg Sentsov und alle anderen illegal in Russland und auf der Krim festgehaltenen Ukrainer sofort und bedingungslos freizulassen. Diese Enthaltung war eine Rebellion gegen die Entscheidung der Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“, gegen diese Resolution zu stimmen. Ferner stimmten FPÖ-Abgeordnete für die Resolution, die die russischen Behörden dazu aufrief, das Gesetz gegen „ausländische Agenten“ aufzuheben und die bestehende Gesetze mit der Verfassung Russlands und seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen in Einklang zu bringen. Trotz dieser Abweichungen neigen die FPÖ-MdEPs meistens dazu, Kreml-kritische Resolutionen nicht zu unterstützen, tendieren aber gleichzeitig dazu, autoritäre Praktiken woanders zu verurteilen, anstatt sie zu ignorieren.

Im Großen und Ganzen zeigen die österreichischen MdEPs mit Ausnahme der FPÖ-Abgeordneten eine starke Unterstützung von Resolutionen, die die innerstaatlichen und internationalen Aktivitäten des Kremls kritisieren. In der Regel verurteilen sie auch autoritäre Trends in anderen Teilen der Welt, und selbst die FPÖ-Abgeordneten schließen sich oft diesem Konsens an.

 

[1] “Spain: Russia Sanctions ‘Beneficial for No One’”, EUobserver, https://euobserver.com/foreign/127940, aufgerufen am 1. September 2020.

[2] Z.B. ließ der finnische UN-Vertreter Kai Sauer Ungarn aus, als er die Namen jener EU-Länder vorlas, in deren Namen er sprechen würde, in einer Stellungnahme, welche die israelische Politik gegenüber den Palästinensern kritisiert. Siehe auch “Hungary Accuses EU of Ignoring Its Veto over Israel Criticism”, Euronews, 2. Mai 2019, https://www.euronews.com/2019/05/02/eu-ignores-hungary-s-last-minute-veto-on-statement-criticising-israel.